Arbeitslosigkeit und Beschäftigung in der Schweiz
Dieses Modul behandelt die verschiedenen Arten von Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosenversicherung (ALV) und die Rolle der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) in der Schweiz.
- Sie können die verschiedenen Arten von Arbeitslosigkeit (friktionelle, strukturelle, konjunkturelle, saisonale) unterscheiden und mit Beispielen erläutern.Verstehen
- Sie können die wesentlichen Leistungen und Bedingungen der Schweizer Arbeitslosenversicherung (ALV) erklären.Verstehen
- Sie können die Aufgaben und Dienstleistungen der RAV (Regionale Arbeitsvermittlungszentren) beschreiben.Verstehen
- Sie können anhand aktueller Daten die Arbeitsmarktsituation in der Schweiz analysieren und einordnen.Analysieren
Die Arbeitslosigkeit ist ein zentrales wirtschaftspolitisches Thema und betrifft sowohl einzelne Menschen als auch die Gesellschaft als Ganzes. In diesem Modul lernen Sie die verschiedenen Formen von Arbeitslosigkeit kennen, verstehen das System der Arbeitslosenversicherung (ALV) in der Schweiz und erfahren, welche Rolle die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt spielen.
1. Einführung: Arbeitslosigkeit als wirtschaftliches und gesellschaftliches Phänomen
Arbeitslosigkeit bedeutet, dass Personen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind, keine Erwerbsarbeit finden. Sie ist ein wichtiger Indikator für die wirtschaftliche Lage eines Landes.
In der Schweiz wird die Arbeitslosenquote vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) monatlich veröffentlicht. Die Schweiz weist im internationalen Vergleich traditionell eine relativ tiefe Arbeitslosenquote auf, was verschiedene Gründe hat:
- Flexible Arbeitsmärkte
- Starkes duales Bildungssystem (Lehre)
- Diversifizierte Wirtschaftsstruktur
- Aktive Arbeitsmarktpolitik
2. Arten der Arbeitslosigkeit
Je nach Ursache unterscheidet man verschiedene Formen von Arbeitslosigkeit:
2.1 Friktionelle (Sucharbeitslosigkeit)
Entsteht durch den natürlichen Wechsel zwischen Arbeitsstellen. Personen kündigen ihre alte Stelle und suchen eine neue. Diese Art der Arbeitslosigkeit ist in der Regel kurzfristig und gilt als unvermeidlich.
Beispiel: Eine Kauffrau kündigt ihre Stelle in Zürich und sucht eine neue Position in Bern, was einige Wochen dauert.
2.2 Strukturelle Arbeitslosigkeit
Entsteht durch langfristige Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, etwa durch technologischen Wandel, Globalisierung oder veränderte Nachfrage. Die Qualifikationen der Arbeitssuchenden passen nicht mehr zu den offenen Stellen.
Beispiel: Durch die Digitalisierung werden weniger Bankangestellte für Routinetätigkeiten benötigt. Betroffene müssen sich umschulen lassen.
2.3 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
Entsteht durch einen wirtschaftlichen Abschwung (Rezession). Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sinkt, weshalb Unternehmen Personal abbauen.
Beispiel: Während der COVID-19-Pandemie stieg die Arbeitslosigkeit in vielen Branchen vorübergehend stark an.
2.4 Saisonale Arbeitslosigkeit
Entsteht durch jahreszeitliche Schwankungen in bestimmten Branchen.
Beispiel: Skilehrer sind im Sommer oft ohne Beschäftigung, Bauarbeiter haben im Winter weniger Aufträge.
Note
Merke: Natürliche Arbeitslosenquote
Die natürliche Arbeitslosenquote (auch NAIRU - Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment) bezeichnet die Arbeitslosenquote, die auch bei Vollbeschäftigung besteht. Sie umfasst die friktionelle und einen Teil der strukturellen Arbeitslosigkeit. In der Schweiz liegt sie bei etwa 2-3%.
3. Die Arbeitslosenversicherung (ALV) in der Schweiz
Die Arbeitslosenversicherung ist Teil des schweizerischen Sozialversicherungssystems und im Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) geregelt.
3.1 Finanzierung
Die ALV wird durch Lohnbeiträge finanziert:
- Beitragssatz: 2,2% des AHV-pflichtigen Lohns (bis CHF 148'200)
- Solidaritätsbeitrag: 1% auf Lohnteile über CHF 148'200
- Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen je die Hälfte
3.2 Anspruchsvoraussetzungen
Um Arbeitslosenentschädigung zu erhalten, müssen Sie:
- In den letzten 2 Jahren mindestens 12 Monate Beiträge gezahlt haben (Beitragszeit)
- Ganz oder teilweise arbeitslos sein
- Vermittlungsfähig sein (arbeitsfähig und bereit, eine zumutbare Arbeit anzunehmen)
- Die Kontrollvorschriften befolgen
- In der Schweiz wohnen
3.3 Leistungen
Taggelder:
- 70% des versicherten Verdienstes (ohne Unterhaltspflichten)
- 80% des versicherten Verdienstes (mit Unterhaltspflichten oder bei Invalidität)
- Maximaler versicherter Verdienst: CHF 148'200 pro Jahr
Anzahl Taggelder:
- Unter 25 Jahren ohne Unterhaltspflicht: 200 Taggelder
- 25-55 Jahre: 400 Taggelder
- Ab 55 Jahren oder IV-Rente: 520 Taggelder
3.4 Weitere Leistungen
- Kurzarbeitsentschädigung: Entschädigung für Arbeitgeber bei vorübergehendem Arbeitsausfall
- Insolvenzentschädigung: Lohnfortzahlung bei Konkurs des Arbeitgebers
- Arbeitsmarktliche Massnahmen: Kurse, Praktika, Beschäftigungsprogramme
Warning
Wichtig: Einstelltage (Sanktionen)
Wer gegen die Pflichten verstösst (z.B. ungenügende Stellensuche, Ablehnung zumutbarer Arbeit), kann mit Einstelltagen belegt werden. Das bedeutet, dass für eine bestimmte Zeit (1-60 Tage) keine Taggelder ausbezahlt werden.
4. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV)
Die RAV sind die erste Anlaufstelle für Stellensuchende in der Schweiz. Sie werden von den Kantonen betrieben und sind für die Umsetzung der Arbeitslosenversicherung zuständig.
4.1 Aufgaben der RAV
- Anmeldung: Registrierung der Stellensuchenden
- Beratung: Individuelle Beratungsgespräche mit persönlichem Berater
- Stellenvermittlung: Vermittlung offener Stellen, Zugang zur Job-Room-Plattform
- Kontrolle: Überwachung der Suchbemühungen und Pflichterfüllung
- Massnahmen: Zuweisung von arbeitsmarktlichen Massnahmen (Kurse, Programme)
4.2 Ablauf bei Arbeitslosigkeit
- Frühzeitig melden: Idealerweise sofort nach Erhalt der Kündigung beim RAV anmelden (nicht erst am letzten Arbeitstag)
- Anmeldegespräch: Persönliches Gespräch, Festlegung des Suchprofils
- Stellensuche: Mindestens 8-12 Bewerbungen pro Monat (je nach Kanton und Profil)
- Regelmässige Gespräche: Kontrollgespräche mit dem Personalberater
- Nachweis: Monatliches Einreichen des Nachweises der persönlichen Arbeitsbemühungen
4.3 Stellenmeldepflicht
Seit 2020 müssen Arbeitgeber offene Stellen in Berufsarten mit einer Arbeitslosenquote von mindestens 5% zuerst dem RAV melden. Während 5 Arbeitstagen dürfen diese Stellen nicht öffentlich ausgeschrieben werden.
Challenge
Recherche-Aufgabe
Recherchieren Sie auf der Website des SECO (www.seco.admin.ch) die aktuelle Arbeitslosenquote der Schweiz und beantworten Sie folgende Fragen:
- Wie hoch ist die aktuelle Arbeitslosenquote?
- Wie hat sich die Quote im Vergleich zum Vorjahr entwickelt?
- Welche Kantone haben die höchste/tiefste Arbeitslosenquote?
- Welche Berufsgruppen sind aktuell besonders von Arbeitslosigkeit betroffen?
5. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Die Schweiz setzt auf verschiedene Instrumente zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit:
5.1 Passive Massnahmen
Finanzielle Absicherung durch Arbeitslosentaggelder
5.2 Aktive Massnahmen
- Bildungsmassnahmen: Kurse, Umschulungen, Weiterbildungen
- Beschäftigungsmassnahmen: Temporäre Einsätze, Praktika
- Spezielle Massnahmen: Einarbeitungszuschüsse, Pendlerkosten, Förderung selbständiger Erwerbstätigkeit
5.3 Konjunkturpolitische Massnahmen
- Kurzarbeit (verhindert Entlassungen bei vorübergehenden Schwierigkeiten)
- Konjunkturprogramme des Bundes
Reflection
Reflexion
Überlegen Sie sich:
- Welche Art von Arbeitslosigkeit ist am schwierigsten zu bekämpfen und warum?
- Wie könnte sich die Digitalisierung und künstliche Intelligenz auf den Schweizer Arbeitsmarkt auswirken?
- Ist die Arbeitslosenversicherung Ihrer Meinung nach fair finanziert?